Sprachsülze. Schmeckt nicht.

Wie mit Sprache manipuliert wird, decken Udo Stiehl und Sebastian Pertsch in ihrem Buch „Ihr Anliegen ist uns wichtig! – So lügt man mit Sprache“ auf. Die Macher der Floskelwolke schenken uns erhöhte Aufmerksamkeit für sprachliche Fettnäpfchen und liefern frische Schimpfvokabeln wie Begriffszeppeline, Heißluftformulierungen und Wortwurstfabrik gleich mit. Damit wird auch das Fluchen beim Redigieren verschwurbelter Texte künftig sehr viel abwechslungsreicher. 

Das kommt dabei heraus, wenn man das Phrasenschwein schlachtet: Sprachsülze

Das kommt dabei heraus, wenn man das Phrasenschwein schlachtet: Sprachsülze

Frisch aus der Wortwurstfabrik

Eigentlich ist es völlig schleierhaft, warum ganz normale Substantive um einen Bereich aufgebläht werden. Da wird die Küche zum Kochbereich, die Straßeneinmündung zum Kreuzungsbereich und das Badezimmer zum Sanitärbereich. Dank der Autoren des Reiseführers durch den alltäglichen Sprachnebel ist das Rätsel gelöst. Der Bereich ist eine Krankheit; hoffentlich heilbar.

Der Bereich ist kein Wort, er ist der Herpes der deutschen Sprache. Man fängt ihn sich ein und wird ihn nicht mehr los. Geht leicht über die Lippen und ist dabei hochansteckend.

Orientierung im Sprachnebel

Die Autoren hauen uns aber nicht einfach einen weiteren Sprachratgeber um die Ohren; sie liefern uns auch keinen Abklatsch ihres ehrenamtlichen Webprojekts Floskelwolke, in der sie Phrasen und Floskeln in deutschsprachigen Medien analysieren. In ihrem im Piper-Verlag erschienen Buch betten sie die Worthülsen und Schönfärbereien, die Mogelpackungen und Heißluftformulierungen in anschauliche Geschichten, Zusammenhänge und Alltagsbegebenheiten ein, die wir alle kennen; ziemlich gut sogar. Das ist nicht nur unterhaltsam, es ist viel einprägsamer als eine schulmeisterliche Giftliste.

Noch eine Knöllchensammlung der Sprachpolizei … braucht kein Mensch … Wir möchten Sie neugierig machen auf die täglichen Versuche, Sie mit Floskeln, Phrasen und anderen fragwürdigen Formulierungen einzulullen und Ihnen dabei im schlimmsten Fall eine glatte Lüge unterzujubeln.

Komplexe im Badezimmer

Sagen, was ist. Das ist vielleicht ein Motto für Medienmacher, aber nicht für Werbefritzen. Ich lerne, wie Kosmetik wohlklingend betitelt wird und eine Creme mit „Anti-Sebum-Komplex“ nichts anderes verspricht, als den Kampf mit Talgdrüsen aufzunehmen. Ich schleiche ins Badezimmer. Tatsächlich stehen auch bei mir Wundermittel herum mit „Intensiv Glanz Formel“ und „Pro-Feuchtigkeits-Komplex“. Habe ich deshalb dieses Shampoo und dieses Haarspray gekauft? Nach der Lektüre dieses Kapitels werde ich weitere Anpreisungen geflissentlich ignorieren.

Denn „klinisch getestet“ bedeutet nur, dass es eben am Menschen getestet wurde. Mehr nicht. Ob hinterher alle Probanden dicke Pickel bekamen, muss nicht verraten werden.

Verschwurbelte Grütze im Politbetrieb

An Wahltagen überschlagen sich die Sender, um nach den ersten Hochrechnungen Vertreter der Parteien vor die Kamera zu bekommen. Das ist der Zeitpunkt, an dem ich regelmäßig abschalte. Warum ich das tue, habe ich noch nie so schön erklärt bekommen wie in diesem Buch. Weil die handbuchartig heruntergebeteten Danksagungen zu Beginn jedes Interviews niemals nicht Lust darauf machen weiter zuzuhören.

Erst recht, wenn ein Wahlverlierer befragt wird, der eben unter der Fünf-Prozent-Hürde durchgetaucht und aus dem Parlament geflogen ist … Er dankt seinen Wählerinnen und Wählern. Und wofür? Danke, dass mein politischer Einfluss auf die Ebene einer Häkelgruppe geschrumpft ist.

Sprache manipuliert

Im Kapitel über die „Rhetorik der Rechten“ hört das unterhaltsame Augenzwinkern der Autoren auf. Geduldig wird mit Blicken in die Vergangenheit und auf aktuelle Geschehnisse aufgedröselt und eingeordnet, wie Sprache als Mittel der Ausgrenzung missbraucht und die Beweiskraft von Statistiken ignoriert wird.

Der menschenverachtende Wortschatz des Nationalsozialismus hat wieder Konjunktur. Wer die Rechten als „Asylkritiker“ oder „Asylgegner“ bezeichnet, glaubt auch, dass 1933 das Lagerfeuer von Literaturkritikern entfacht wurde. Das ist beschämend.

Weichgespülte Blendgranate

Man möchte gern mal als Mäuschen unter Konferenztischen sitzen und mitbekommen, wie wirklich verhandelt wurde, bevor der weichgespülte Käu der Öffentlichkeit verkündet wird. Warum ich Meldungen über Konferenzergebnisse zwar lese, aber oft gleich wieder vergesse, habe ich ebenfalls noch nie so hübsch nachlesen können.

Immerhin ist das Konferenzeergebnis nämlich „relevant“, und wenn das noch nicht wichtig genug klingt, dann eben „systemrelevant“. An solche Worte wird sich später jeder erinnern, denn es wurde ja gerade nicht weniger als die Welt gerettet.

Modischer Destroyed-Effekt

Nach der Lektüre des Buches fällt mir der Prospekt eines Discounters in die Hände. Mein Blick ist geschärft. Und so entgeht mir nicht, womit ich für den Kauf einer abgewetzten, löchrigen Jeans motiviert werden soll.

Das Buch „Ihr Anliegen ist uns wichtig“ ist eine Fundgrube für Wortwerker. Udo Stiehl und Sebastian Pertsch zeigen uns lehrreich und ohne erhobenen Zeigefinger, was dabei herauskommt, wenn man mal das Phrasenschein schlachtet: Sprachsülze. Schmeckt nicht. Für euch getestet.

„So lügt man mit Sprache“ – ein lehrreicher und unterhaltsamer Reiseführer durch den alltäglichen Sprachnebel.

„So lügt man mit Sprache“ – ein lehrreicher und unterhaltsamer Reiseführer durch den alltäglichen Sprachnebel.

Ein Gedanke zu „Sprachsülze. Schmeckt nicht.

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