Entschuldigungen fürs Schuleschwänzen oder krankheitsbedingtes Fehlen sind bis zur Volljährigkeit der Kinder für Eltern eine Herausforderung zur Kreativität oder Wurstigkeit. Das kommt auf die Häufigkeit an. Dramen im Grundschulalter erfordern natürlich eine angemessene Würdigung; in der Oberstufe spart man sich viele Worte. Sportstunden oder Französischunterricht werden nämlich besonders häufig versäumt. Eine Zeitreise durch eine alte Schulkiste.
Die Grundschullehrerin meiner Tochter hatte es offensichtlich nicht leicht gehabt, als Carline nur wenige Wochen nach der Einschulung mit einem gebrochenen Arm aufkreuzte. Rechts. Natürlich. Als zwei Jahre später der linke Knöchel angeknackst war, schrieb ich der Lehrerin folgenden Brief:
Sehr geehrte Frau Schain,
ich bedaure, meine begnadete Tochter mal wieder bei der schulischen Körperertüchtigung entschuldigen zu müssen, da eine gewisse Trägheit der jungen Glieder zu einer neuerlichen Bruchlandung geführt hat; was im übrigen einmal mehr die unerläßliche Notwendigkeit auch der schulsportlichen Aktivitäten unterstreicht.
Immerhin dürfte das Krückenhumpeln über seine armmuskelbildende Wirkung aber doch einen gewissen Ausgleich zum versäumten Unterricht bieten, wovon Sie sich dann späterdings sicherlich überzeugen können.
Die vorerst auf Sie zukommende Verkomplizierung schulstundlichen Ablaufs mit einem Hinkebein mögen Sie bitte so gelassen als möglich sehen, ansonsten bitte keine über den Gipsanteil hinausgehende Rücksichtnahme, denn im Prinzip fehlt Carline sonst rein gar nichts.
In den Folgejahren war ich dann wohl zu häufig Gast in der chirurgischen Ambulanz und sparte mir solche Ergüsse. Im Alter zwischen 16 und 18 Jahren war der Bedarf an Entschuldigungsschreiben besonders hoch, weshalb ich mich schließlich auf die kürzestmögliche Standardformulierung beschränkte und mitunter nicht einmal mehr „gesundheitliche Gründe“ als Entschuldigung vorschob. Mein Variantenreichtum beschränkte sich auf farbenfrohe Zettel.
Carline konnte heute nicht am Sportunterricht teilnehmen. Ich bitte, ihr Fehlen zu entschuldigen.
Carline hat am 14.11.00 den Französischunterricht versäumt. Ich bitte ihr Fehlen zu entschuldigen.
Alle betroffenen Lehrer zeichneten die Entschuldigungen ab, die dann wieder zu Hause landeten. Warum, weiß ich nicht. Die Lehrer bekamen jedenfalls, was sie wollten. Gern auch ärztliche Bescheinigungen über die Befreiung vom Schulsport oder die Uhrzeit eines Arztbesuchs. Und bei Bedarf auch stundengenaue Entschuldigungen. Ich war nicht geizig.
Sehr geehrte Damen und Herren,
wegen Erkrankung hat Carline heute an der 1. + 2. sowie an der 6. +7. Schulstunde nicht teilgenommen. Ich bitte ihr Fehlen zu entschuldigen.
Die Volljährigkeit nutzte dieses Kind umgehend, um eigene Entschuldigungen zu schreiben.
Sehr geehrter Herr Magiera,
am 15.05.‘02 habe ich aufgrund meiner (äußerst erfolgreichen) Fahrprüfung nicht am Unterricht teilnehmen können. Ich bitte mein Fehlen zu entschuldigen.
Sehr geehrter Herr SoWi-Meister,
ich weiß, es ist eigentlich unentschuldbar, aber gestern am 19.11.2002 habe ich verschlafen. Ich bitte Sie herzlich mir zu verzeihen.
Sehr geehrter Herr Fachlehrer,
am Montag, dem 16.12.2002, konnte ich wegen den unerfreulichen Auswirkungen eines in der Bauchspeicheldrüse befindlichen Virus nicht am Unterricht teilnehmen. Ich bitte, mein Fehlen zu entschuldigen.
Sehr geehrter Herr Schmitt,
Donnerstag, der 13.03.2003, war für mich ein außerordentlich suboptimaler Tag. Daher war mein Fernbleiben von Ihrem (hochgeschätzten) Unterricht die beste Lösung für alle Beteiligten. Ich bitte mein Fehlen zu entschuldigen.
Entschuldigungsbriefe dieser Art waren jeweils unterzeichnet „mit freundlichen Grüßen“, was allerdings nur in einem Fall von einer Lehrkraft erwidert wurde.
„Im Namen der kath. Kirche sei Dir Vergebung gewährt.“